Concerti magazine: „Meine Helden sind all die Großen der Vergangenheit“
Pendelnd zwischen seinen Orchestern in Oslo und Paris ist der 25 Jahre junge finnische Dirigent Klaus Mäkelä eine der ganz heißen Versprechungen der Klassik.
Von Peter Krause, 8. März 2021
Finnen gelten als wortfaul. Klaus Mäkelä hingegen ist eine Kontaktkanone. Das merkt man, wenn der 25-jährige Meisterdirigent bei der Arbeit ist – dabei mit seinen Orchestern in ständigem, extrawachem Blickkontakt steht, so den Energiestrom zwischen Kollektiv und Trainer immer auf Hochtouren fließen lässt und in jeder Sekunde hochhält. Und man merkt es im Gespräch, das von seiner Zugewandtheit und Offenheit kündet, seiner neugierigen Freude am Meinungsaustausch und Sinnieren über die Geheimnisse des idealen gemeinsamen Musikmachens, das die von ihm geleiteten Klangkörper regelmäßig über sich hinauswachsen lässt. Die Einladungen und Wiedereinladungen zu den internationalen Spitzenorchestern von London bis München beweisen es so sehr wie die beiden jüngsten Berufungen auf prestigeträchtige Chefpositionen – an die Spitze des Oslo Philharmonic wie des Orchestre de Paris.
Diese Freude an der Nähe zu anderen Menschen muss mit seinem geradezu unfinnischen Charakter zu tun haben, sie lässt sich aber auch konkret auf das Ausbildungskonzept seines Lehrers zurückführen – einer lebenden Legende, die ganze Generationen großer finnischer Maestri hervorbrachte. „Jorma Panula ließ uns im Studium ständig das Orchester der Hochschule dirigieren. Jede Woche. So wurde es ganz natürlich, da vorn am Pult zu stehen und den genau richtigen Modus der Kommunikation mit den Kollegen im Orchester zu finden.“
„Die kostbarste Kommunikation ist die nonverbale.“
Der erfolgsverwöhnte Finne, der einer Musikerfamilie entstammt und zudem als Cellist ausgebildet ist, hat dabei schnell gelernt, dass das Dirigieren changieren muss zwischen konkreten, klar verständlichen Ansagen auf der einen Seite und der Freiheit, ja der Poesie der gemeinsamen Gestaltung auf der anderen. Nur: Wie balanciert man diese Pole aus? „Jedes Orchester braucht etwas anderes und erwartet etwas anderes. Die kostbarste Kommunikation mit einem Klangkörper aber ist die nonverbale. Ein Dirigent muss sofort die gute Atmosphäre für eine enge musikalischen Beziehung zum Orchester herstellen, die es ermöglicht, dass das Orchester besser spielt als sonst, weil es besser spielen möchte als sonst.“
Doch Mäkelä ist natürlich viel mehr als der von Spontaneität getriebene Maximierungsmeister von Motivation, er weiß genau, auf welche Mischung an Kompetenzen und Aufgaben es bei der Erziehung von Orchestern ankommt: „Was mir sehr am Herzen liegt, ist die präzise stilistische Arbeit: Jeder Komponist muss schließlich anders gespielt werden. Bei begrenzten Probenzeiten ist das eine enorme, aber positive Herausforderung, wenn wir beispielsweise ein Werk des 18. Jahrhunderts, ein zeitgenössisches und ein romantisches auf demselben Programm kombinieren und also ganz verschiedene Klangwelten kreieren müssen. Hier ist es ein großer Vorteil, mit den eigenen Orchestern zu arbeiten, da wir mit jedem Projekt an dem Punkt weitermachen können, an dem wir zuvor bei unserem Beethoven oder unserem Sibelius angekommen waren.“
Der goldene Weg zum Ziel
Nur: Wie disponiert man dann einen Proben- und Aufführungsprozess, um zwischen stilgenauen Details und der Magie des inspirierten Augenblicks zu vermitteln? Klaus Mäkelä beschreibt den goldenen Weg zum Ziel: „Am Anfang muss man mit großer Klarheit die Richtung zeigen, in die wir gemeinsam gehen werden: den Charakter, den Stil und den Interpretationsansatz eines Werks, auch dessen Intensität. Danach konzentriere ich mich deutlich mehr auf Details: die Artikulation, besonders wichtig sind die Farben, die wir evozieren wollen. Wenn wir den Rahmen auf diese Weise präzise abgesteckt haben und uns darin wohlfühlen, kann im Konzert alles passieren. Da sollten wir dann auch ein echtes Feuerwerk entzünden.“
Wer den fließend Deutsch und Englisch sprechenden Künstler allerdings zum ersten Mal auf der Bühne beobachtet, der wundert sich. Denn er hat eben so gar keine überschäumenden dirigentischen Showeffekte nötig, wie sie junge Dirigenten aus übergroßer Begeisterung oder uneingestandener Unsicherheit gerne zeigen: „Ganz wichtig finde ich die eigene Präsenz sowie die Kommunikation über die Augen, also gar nicht primär die Gestik der Arme. Man muss sich gegenseitig spüren und dann ständig aufeinander reagieren. Natürlich gibt es Momente, in denen ein Orchester klare Zeichen als Hilfestellung benötigt, sonst aber muss man ihm auch Raum zur Entfaltung geben, jedenfalls die Illusion einer großen Freiheit des gemeinsamen Gestaltens.“
„In dem Moment, in dem man zufrieden im Sessel sitzt, ist man tot.“
Letzteres ist ihm ein echtes Anliegen, er spürt genau, wie er das richtige Repertoire für die richtige Phase der gemeinsamen Entwicklung mit dem Orchester wählen muss: „Bei Mozartoder Beethoven hat jedes einzelne Orchestermitglied eine eigene Vorstellung davon, wie er klingen sollte. Gerade diese Komponisten erfordern dann aber erstaunlich viel Probenarbeit, weil wir uns einigen müssen, was eine doppelt punktierte Note denn nun wirklich heißt, wo eine Phrasierung denn genau hingehen soll. Bei Mahler, Strauss, Strawinsky oder Bartók sind die Partituren hingegen mit höchst genauen Angaben und Vorgaben, mitunter bis hin zu präzisen Metronomangaben oder den Takten mit Rubato gefüllt. In vielerlei Hinsicht steht die Interpretation also hier bereits in der Partitur. Je mehr Information da nun in den Noten steht, die man umsetzen muss, desto mehr entsteht auch die Herausforderung, trotzdem magische Momente der Freiheit zuzulassen, also gegenüber den genau ausformulierten Wünschen der Komponisten nicht zu unterwürfig zu werden.“
Mäkelä gilt als wacher, sehr bewusster Programmplaner. Dient er da den Bedürfnissen des Orchesters oder den eigenen Vorlieben? „Man darf nie bequem werden. In dem Moment, in dem man zufrieden im Sessel sitzt, ist man tot. Ich muss Werke wählen, durch die sich das Orchester noch weiter verbessern kann und die eigenen Grenzen noch weiter nach vorn verschiebt.“
Das Wie und das Was des Musikmachens
Gern und viel denkt er darüber nach, warum wir die spezifischen Klangcharaktere von bedeutenden Orchestern – etwa im Sinne der russischen, deutschen oder französischen Schule – immer mehr verlieren. „Neben der allgemeinen Globalisierung der Musikwelt hat es, glaube ich, auch damit zu tun, dass die Amtszeiten der großen Chefdirigenten immer kürzer werden. Früher blieb eben ein George Szell über Jahrzehnte in Cleveland, ein Karajanso lange in Berlin oder ein Mrawinsky in Leningrad. Sie alle prägten wirklich eine ikonische Ära mit ihren Orchestern. Das ist heute so nicht mehr vorstellbar.“ Das Wie des Musikmachens habe zudem sehr viel mit dem Was zu tun – mit der Wahl des Repertoires also. Ein russisches Orchester klingt russisch, weil es eben über lange Zeit viel Tschaikowsky und Schostakowitsch gespielt hat.
„Orchestrale Schulen haben sich aber dennoch erhalten. Beim Orchestre de Paris erlebe ich, dass eben eine Vielzahl der Mitglieder entweder Franzosen sind oder doch an französischen Hochschulen ausgebildet wurden. Da ist dann in allen Instrumentengruppen noch die eigene Schule spürbar. Hier habe ich also einerseits die Verantwortung, durchaus ein Repertoire zu wählen, das diese Eigenschaften erhält und pflegt, andererseits aber auch Werke, die eine Weiterentwicklung bewirken. Beim Oslo Philharmonic freue ich mich nun sehr, eine Amtszeit von ganzen sieben Jahren zu haben. Der Klang des Orchesters ist einfach großartig, er hat diese unglaubliche Intensität und große Wärme, die Streicher besitzen diese dunkle nordische Farbe, durchaus vergleichbar mit dem traditionellen deutschen Klang, wie er bei der Staatskapelle Dresden heute noch deutlich spürbar ist. Unsere Konzerthalle in Oslo ist allerdings leider nicht optimal, man muss dort mit einem sehr großen Ton spielen.“
Inspiriert durch die Vorväter
So jung Mäkelä ist, so reif wirkt er als hoch reflektierter Musiker, der sich intensiv mit der Tradition der großen Persönlichkeiten vor ihm befasst, der in der Tat eine deutliche Inspiration durch die Vorväter empfindet: „Ich beschäftige mich sehr gern mit den Aufnahmen der alten deutschen Kapellmeister, hörte gerade Rafael Kubeliks Dvořák-Siebte in dieser fantastischen Ausdruckstiefe mit dem Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks. Ich finde, Kubelik wird heutzutage total unterbewertet. Überhaupt sind meine Helden all die Großen der Vergangenheit: Vater und Sohn Kleiber oder Harnoncourt als Dirigenten, Lipatti als Pianist. Es interessiert mich zudem sehr nachzuhören, wie die bedeutenden Orchester früher klangen, etwa das Cleveland Orchestra der sechziger Jahre. Als ich dann dort debütieren durfte, war es wunderbar, Beethovens siebte Sinfonie mit stolzen sechzehn ersten Violinen und zehn Kontrabässen zu machen – und dennoch alles so delikat wie feinste Kammermusik klingen zu lassen.“
Doppeltes Heimspiel
Mäkelä ist jung und eben auch offen genug, um zum Ende des Gesprächs mit einer provozierenden Frage konfrontiert zu werden. Birgt der frühe Erfolg die Wunderkindgefahren des vorzeitigen Absturzes? „Gefährlich wird es für einen Künstler erst, wenn er bequem wird. Das Wichtigste ist also, immer neugierig zu bleiben. Ich bin wirklich glücklich mit der zeitlichen Abfolge der Schritte, die ich bislang gehen durfte. Es erscheint mir als ideal, jetzt meine Aufmerksamkeit auf genau zwei Orchester fokussieren zu können und mit diesen beiden deutlich mehr künstlerische Ergebnisse zu erzielen als mit zwei Millionen Orchestern. Dazwischen gibt es kleine Ausflüge zu den anderen Orchestern, die ich besonders liebe.“
Derlei behutsames Fremdgehen erlaubt er sich freilich derzeit nicht, im doppelten Sinne ein Heimspiel vielmehr hat Klaus Mäkelä jetzt, wenn er mit seinem Oslo Philharmonic die Zentralfigur der finnischen Musik in den Mittelpunkt der Arbeit in seiner ersten Chefsaison stellt. Just vor hundert Jahren, im März 1921, war Jean Sibelius zum letzten Mal in Oslo zu Gast und dirigierte mit dem damals erst zwei Jahre jungen Orchester seine Sinfonie Nr. 1. Daran erinnert Mäkelä nun mit einem Streaming der „Ersten“, also mit Musik, die zur DNA des Orchesters wie zu seiner ureigenen gehört.
Streaming-Tipp:
Ab Do., 18. März 2021 (online)
Oslo Philhamonic Orchestra, Klaus Mäkelä (Leitung)
Sibelius: Sinfonie Nr. 1 e-Moll op. 39
Hier geht’s zum Stream!
Mahler Sinfonie Nr. 1 – Antrittskonzert in Oslo im August 2020: